Das grüne Multitalent
Hanf begeistert als grünes Multitalent und wird seit einigen Jahren wieder in Steinheim im Kulturland Kreis Höxter angebaut. Ob als robustes Papier, gesundes Lebensmittel oder als flexibler Dämmstoff für Autos, Hanf hat viele Gesichter. Und leider nach wie vor ein massives Imageproblem:
Denn die üppig wachsende Pflanze mit den hübsch gezackten Blättern machte im 20. Jahrhundert vor allem eine Drogenkarriere - mit Haschisch und Marihuana. Dabei hat die uralte Nutzpflanze mit dem botanischen Namen Cannabis sativa richtig Potential und kann weitaus mehr, als nur Menschen in einen Rauschzustand zu versetzen.
Davon ist auch Stefan Nölker-Wunderwald überzeugt. Seit 20 Jahren setzt sich der Steinheimer Geschäftsmann dafür ein, Hanf als Nutzpflanze zu "rehabilitieren" und die vielseitige Verwendung des wertvollen Rohstoffes aus der Natur voranzubringen. In seinem Hofladen mit dem schönen Namen "Hanf-Zeit" im Steinheimer Industriegebiet kann man sich davon überzeugen, dass Hanf ein Alleskönner ist. Allein schon die breitgefächerte Produktpalette reicht von Backwaren über Öl, Mehl, Soßenbinder, Kosmetik, Textilien und Hundefutter.
"80 Prozent unserer Arbeit ist Aufklärung", sagt Stefan Nölker-Wunderwald. Nicht selten kommen neue Besucher in den Laden und fragen nach, na, nach was wohl? "Und sind dann ganz erstaunt, dass wir hier keinen Coffeeshop wie in Amsterdam mit einer Riesenauswahl an Hasch anbieten", ergänzt Ehefrau Bianca. Doch der Betrieb, welcher in der Region Nutzhanf züchtet und weiter zu vielen guten Dingen verarbeitet, verfolgt ein ganz anderes Ziel und macht sich für die Wiedereingliederung der so lange verteufelten Kulturpflanze stark.
Denn Hanf ist keine neue Erfindung, er zählt zu den ältesten Nutzpflanzen der Welt. Bereits vor 12.000 Jahren wurde Hanf in Persien und China als Getreide angebaut. Außerdem stellten die Chinesen Papier aus Hanf her, das im 13. Jahrhundert nach Europa kam. Im Jahr 1455 druckte Gutenberg seine erste Bibel auf Hanf. Als Columbus 1492 Amerika entdeckte, waren Segeltücher und Tauwerke seiner drei Schiffe aus Hanf. Die Väter der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung unterschrieben 1776 ihr wertvolles Dokument auf Hanf, und der findige deutschstämmige Levi Strauss produzierte 1870 aus Hanf seine erste Jeans. Und dass Van Gogh und Rembrandt ihre berühmten Werke auf Hanfleinen malten, ist nichts Neues.
Diese schöne Erfolgsgeschichte ließe sich mühelos so weiterführen, wenn nicht Cannabis jahrzehntelang als Rauschmittel von sich reden machte, in vielen Ländern für illegal erklärt und bis 1996 verboten wurde. Doch allmählich erwacht Hanf - es gibt rund 40 verschiedene Sorten - wieder aus dem Dornröschenschlaf und erlebt eine echte Renaissance. Dem Lebensmittelmarkt, der Auto- und Bauindustrie und der Medizin sowie den vielen umwelt- und gesundheitsbewussten Kunden sei Dank. Inzwischen wird in den meisten europäischen Ländern wieder Hanf in lizenzierten Sorten legal angebaut. Das heißt nur Sorten mit einem niedrigen, unter 0,2 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehaltes, dürfen zum Einsatz kommen. Denn THC ist der rauschbewirkende Bestandteil der Hanfpflanze, der Schwierigkeiten macht.
Die Steinheimer Züchter, am Anfang noch belächelt, aber zunehmend akzeptiert, bauen auf 25 Hektar in der Region die Sorten Finola und Futura umweltschonend - ohne Pestizide - in erster Linie wegen der Hanfsamen an. Das beliebte Produkt zeichnet sich durch eine hohe Nährstoffdichte aus. Die Samen enthalten mehrfach ungesättigte Omega-3 und Omega-6- und 9-Fettsäuren, essentielle Fettsäuren, alle acht essentielle Aminosäuren, B-Vitamine, Calcium, Magnesium, Eisen und eine Vielzahl an Ballaststoffen. Damit gilt nicht nur das nussig schmeckende Hanföl, sondern auch das Mehl und geschälte Samen als Kraftpakete. "Das ist wirklich ein echtes Superfood für die gesunde Ernährung", betont Stefan Nölker-Wunderwald. Blüten des Hanfs werden in Steinheim zu Tee, Extrakten, Tinkturen und ätherischen Ölen verarbeitet.
Und die Pharmazie und Medizin interessiert sich inzwischen für Hanfprodukte. Denn Hanf ist ebenso eine uralte Heilpflanze. Stefan Nölker-Wunderwalds Hanf besitzt einen hohen Cannabinol-Gehalt (CBD), der ja keine psychoaktive Komponente besitzt, aber dafür eine starke medizinische. Neueste wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass Hanf mit höherem CBD-Gehalt beispielsweise Übelkeit und Brechreiz lindert, eine beruhigende und angsthemmende Wirkung hat. Außerdem gilt CBD als krampflösend und entzündungshemmend. Kein Wunder also, dass die Steinheimer Hanfbauer neben dem Groß- und Einzelhandel auch Apotheken mit seinen Hanf-Produkten beliefert und engen Kontakt mit heimischen Medizinern hat.
Auch die Industrie profitiert von der Renaissance des Hanfgewächses. So entfallen rund allein 15 Prozent des Hanffaser-Marktes auf die Automobilindustrie. Die Fasern gelten als elastisch, widerstandsfähig und haltbar. Große Autofirmen nutzen Hanffasern zur Herstellung von Auto-Innenverkleidungen als Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen. Und auch die Bauindustrie entdeckt zunehmend Hanffasern für umweltschonende Isolierung und Dämmung. "Hanf ist eben ein Alleskönner, der noch eine große Zukunft vor sich hat", ist Stefan Nölker-Wunderwald überzeugt.